Infrastruktur und Wachstum in China

                          Infrastruktur - China 

1.3. Der Zusammenhang zwischen Infrastruktur und Wirtschaftswachstum

Die These, daß ein Zusammenhang zwischen Infrastrukturausstattung und wirtschaftlichem Wachstum in einer Volkswirtschaft besteht, klingt plausibel. Scheele glaubt sogar, daß Infrastruktur eine notwendige Bedingung für positive regionale Entwicklung ist (Vgl. Scheele 1993, S.12).

Zum Beispiel wäre ohne Verkehrswege eine industriell entwickelte, arbeitsteilige Volkswirtschaft nicht vorstellbar. Gerade der Fortschritt in der Arbeitsteilung hat die Entwicklung in den Industrieländern seit dem Beginn der Industrialisierung geprägt. Arbeitsteilung setzt Mobilität der Produktionsfaktoren voraus. Wenn keine Verkehrsinfrastruktur vorhanden ist, die die Transportfunktion übernimmt, ist die Mobilität der Produktionsfaktoren nicht gegeben.

Auch ohne ein zuverlässiges öffentliches Stromnetz ist eine moderne Volkswirtschaft kaum vorstellbar. In der chinesischen Wirtschaft kam es durch Stromausfälle in den letzten Jahren häufig zu Produktionsausfällen. Diese ständigen Produktionsausfälle haben sicherlich einen negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum.

Gerade durch neue Komponenten in der Telekommunikationsinfrastruktur, wie z.B. Mobilfunk oder Internet erhofft man sich, sowohl in den reichen Ländern, als auch in den Entwicklungsländern, neue Wachstumsimpulse.

Dies sind jedoch nur Einzelaspekte. Bis heute gibt es in der Literatur kein unumstrittenes Modell, das die Zusammenhänge zwischen Infrastruktur und Wachstum genau aufzeigt. Der Grund dafür ist auch darin zu suchen, daß Infrastruktur ein weites und vielseitiges Feld ist. Die Sektoren, die der Infrastruktur hinzugerechnet werden, sind recht verschieden. Wie im vorherigen Abschnitt aufgezeigt wurde, ist Infrastruktur noch nicht einmal deutlich abgegrenzt.

Untersucht man - wie in dieser Arbeit - den Einfluss eines Engpasses an Infrastruktur auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum in einer großen Volkswirtschaft, so ist lediglich eine Untersuchung der produktiven Infrastrukturbereiche nötig. Konsumtive Infrastruktur erhöht definitionsgemäß nicht „un-bedingt die Produktionskapazität einer Volkswirtschaft“ (Simonis 1977, S.100). Die Wachstumswirkung von konsumtiver Infrastruktur ist höchstens aus regionalwirtschaftlicher Sichtweise von Bedeutung, nicht bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung (Vgl. Tunzer 1980, S.61). Konsumtive Infrastruktur ist mit einem Konsumgut vergleichbar und ist kein Inputfaktor für die Produktion und somit keine Bedingung für Wachstum. Da die chinesische Volkswirtschaft im Rahmen dieser Arbeit als Gesamtwirtschaft betrachtet wird, hat die konsumtive Infrastruktur somit keinen Einfluss auf die Wachstumsrate der Wirtschaft. Ein Engpass für weiteres wirtschaftliches Wachstum kann deshalb nur von produktiver Infrastruktur ausgehen.

Insgesamt ist wohl unumstritten, daß sowohl zu viel als auch zu wenig produktive Infrastruktur für die wirtschaftliche Entwicklung schädlich ist. Auf der einen Seite entziehen Infrastrukturinvestitionen der Privatwirtschaft z.B. über Steuern Kapital. Dies wirkt sich wachstumshemmend aus. Auf der anderen Seite stellen produktive Infrastrukturleistungen wichtige Vorleistungen in dem Produktionsprozess dar. Dies ist ein Argument für die wachstumsfördernde Wirkung von Infrastruktur. Die genaue optimale Menge an Infrastrukturinvestitionen zu bestimmen ist bisher nicht gelungen. Viele Autoren glauben, daß die allgemeinen Auswirkungen von Infrastrukturinvestitionen noch nicht ausreichend erforscht und unklar sind. Bruisma meint beispielsweise: „Speculation on the impact of infrastructure have been more prevalent than solid scientific analysis“ (Bruisma 1990, S.209). Dennoch gibt es einige theoretische Erklärungsansätze zur Wachstumswirkung von Infrastrukturinvestitionen.

1.3.1. Wachstumsfördernde Wirkung von Infrastruktur

Es gibt mehrere Modelle, die die wachstumsfördernde Wirkung von Infrastruktur darstellen sollen. Das meiner Meinung nach beste Modell stellt produktive Infrastruktureinrichtungen Zwischenprodukten im Produktionsprozeß gleich (Vgl.Tuchtfeld 1970, S.132). Der Output hängt in dieser Theorie nicht nur von dem Input der beiden klassischen Inputfaktoren (Arbeit und Kapital) in die Produktionsfunktion ab, sondern auch von einer ausreichend vorhandenen Menge an Zwischenprodukten. Infrastruktur wird einem Zwischenprodukt gleichgestellt. Dies wird damit begründet, daß produktive Infrastruktur, wie ein Zwischenprodukt im Produktionsprozess, Vorleistungen für die Produktion erbringt. Fehlt im Produktionsprozess ein Zwischenprodukt, so muss die Produktion stark eingeschränkt werden oder kann ganz ausfallen. Ein ganzes Fließband kann z.B. in der modernen Automobilproduktion stillstehen, wenn ein kleines Zwischenprodukt, z.B. eine Schraubenart, fehlt. Genauso verhält es sich mit den für die Wirtschaft relevanten Infrastruktureinrichtungen. Fällt nur eine Komponente der Infrastruktur aus, z.B. die Stromversorgung, kann die ganze Industrieproduktion in einem Land ausfallen, da das Zwischenprodukt elektrische Energie fehlt und nicht substituierbar ist. Hinzu kommt, daß fehlende Infrastruktur nicht durch Import ersetzt werden kann, da Infrastruktur standortgebunden ist. Durch das Fehlen nur eines Zwischenprodukts bzw. Infrastrukturbestandteils kann im Extremfall die gesamte Produktion einer Volkswirtschaft zum Stillstand kommen. (Vgl. zum Zwischenproduktmodell: Trunzer 1980, S.62-63)

Ziel einer wachstumsorientierten Infrastrukturpolitik ist es somit, alle produktiven Infrastrukturkomponenten in ausreichender Menge zu jeder Zeit zur Verfügung zu stellen. Hauptaufgabe einer guten Infrastrukturpolitik ist es, alle auftretenden Engpässe möglichst schnell zu beseitigen. Wie groß die ausreichende Menge ist, ist häufig umstritten. So gibt es z.B. immer wieder politische Meinungsverschiedenheiten vor allem in Industrieländern, ob genügend Straßen vorhanden sind oder nicht. Sind nicht ausreichend Straßen vorhanden, ist also ein Engpass gegeben, so hemmt dies das Wachstum. Sind schon genug Straßen vorhanden und werden weitere gebaut, hat dies keinen Wachstumseffekt mehr.

Anders kann man die Wachstumswirkung von Infrastrukturinvestitionen mit Produktivitätseffekten, die von solchen Investitionen ausgehen, erklären. Eine bessere Infrastrukturausstattung kann sich auf die Produktivität der Produktionsfaktoren Arbeit oder Kapital positiv auswirken (Vgl. Trunzer 1980, S.60-61). Zum Beispiel erhöht eine gute Bildungsinfrastruktur das Bildungsniveau der Bürger. Dies verbessert die Produktivität des Produktionsfaktors Arbeit. Bessere Wasserversorgung in der Landwirtschaft erhöht den Ertrag und somit steigt die Produktivität des eingesetzten Kapitals. Höhere Produktivität kann zu einem höheren Output führen. Positive Wachstumseffekte sind die Folge.

Der dritte Ansatz ist der Entwicklungspotentialansatz. Danach bestimmen einige Faktoren die Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes. Ein Faktor ist die Infrastrukturausstattung. Eine bessere Infrastruktur erlaubt es einem Land das Potential besser auszunutzen. Die Wirtschaft kann also wachsen (Vgl. Scheele 1993, S.24).

 

1.3.2. Wachstumshemmende Wirkung von Infrastruktur

Wird in Infrastruktur über den Bedarf hinaus investiert, kommt es zu Überkapazitäten im Infrastrukturbereich. Der Teil der Infrastruktur, der über dem Bedarf liegt, hat keinen oder einen nur noch geringen Nutzen. Dies lässt sich am besten an Beispielen verdeutlichen. Werden von einer zu großen Hochschulinfrastruktur zu viel Lehrer ausgebildet, dann werden nicht alle benötigt. Der volkswirtschaftliche Nutzen dieser arbeitslosen Lehrer ist gering. Ähnliches gilt für eine Straße, die parallel zu einer wenig benutzten anderen Straße gebaut wird. Der zusätzliche Nutzen ist gering.

Infrastruktur kostet jedoch in der Erstellungsphase und im Unterhalt Geld. Dieses Geld wird in der Regel in Form von Steuern der Privatwirtschaft entzogen. Es kommt also zu einem Entzug von Ressourcen im privaten Bereich der Wirtschaft. Dies hat negative Wachstumseffekte im privaten Produktionsbereich zur Folge. Der Nutzen der zusätzlichen Infrastruktur ist deshalb gering, weil aufgrund von Überkapazitäten kein hoher Bedarf besteht. Es gehen also geringe positive Wachstumseffekte von dieser Infrastrukturinvestition aus.

Die Summe der positiven und negativen Wachstumseffekte ist somit negativ. Unnötige Infrastrukturinvestitionen haben somit negative Wachstumseffekte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Nutzen des Infrastrukturprojekts gering ist, weil schon genug Kapazität vorhanden ist. (Vgl. Trunzer 1980, S.65-71)

1.3.3. Ergebnis

Eine allgemeine Aussage, wie viel eine Volkswirtschaft in Infrastruktur in­vestieren soll, gibt es nicht. Siebert meint: „Der durch den Ressourcenentzug verursachte Wachstumsverlust im privaten Sektor während der Erstellungs­phase der Infrastruktur muss - wenn Infrastruktur einen positiven Wachstumseffekt haben soll - in der Nutzenphase der Infrastruktur überkompensiert werden“ (Siebert 1975, S.135). Es muss also bei jedem einzelnen Infrastrukturprojekt der Nutzen mit den Kosten der Infrastruktur verglichen werden. Dies geschieht am besten mit einer genauen Nutzen-Kosten-Analyse.

Von hohem Nutzen sind Infrastrukturinvestitionen, wenn sie wichtige Voraussetzungen für die private Produktion darstellen und wenn ein Engpass in dem Bereich besteht. Das wichtigste Ziel der Infrastrukturpolitik muss es immer sein, Engpässe im Infrastrukturbereich zu beseitigen, da die Beseitigung der Engpässe von höchstem gesamtwirtschaftlichen Nutzen ist.

Werden die Engpässe im produktiven Infrastrukturbereich nicht behoben, hat dies enorme negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Das Wachstum einer Volkswirtschaft ist extrem von der Bereitstellung von Infrastruktur abhängig. Ist die Infrastruktur nur in einem Teilbereich nicht ausreichend vorhanden, kann unter Umständen das gesamte Wirtschaftswachstum daran scheitern. Sind dagegen keine Engpässe vorhanden, erlaubt die Infrastrukturausstattung eines Landes ein stabiles und dauerhaftes Wachstum. Von einer guten Infrastruktur können positive Wachstumswirkungen ausgehen.

 

Präsident des Internet

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